


















“Culture is ordinary: that is the first fact. Every human society has its own shape, its own purposes, its own meanings. […] We use the word culture in these two senses: to mean a whole way of life – the common meanings; to mean the arts and learning – the special processes of discovery and creative effort. Some writers reserve the word for one or other of these senses; I insist on both, and on the significance of their conjunction.”[1]
– Raymond Williams.
Was bedeutet Praxis für die Kulturwissenschaften – und welche Rolle spielt sie in gesellschaftlichen Beziehungen und Veränderungen? Zwischen Moorlandschaft und spätsommerlicher Ruhe wurde Anfang September das „Haus am Moor“ in Schülp (Schleswig-Holstein) zum Raum, um diese Frage zu reflektieren und diskutieren. 17 Teilnehmende – Studierende, Alumni und Kulturschaffende aus Deutschland und Österreich – kamen hier zur interdisziplinären Summer School let’s get practical: Kulturwissenschaften in Gesellschaft zusammen. Der Fokus der ersten Ausgabe lag auf dem Wert und der Funktion von Praxis in den Kulturwissenschaften und erkundete in Workshops mit Gäst*innen aus der kulturellen Praxis neue Wege des Forschens, Lernens und Handelns.
Wie praktisch Werden?
Wie verhalten sich Praxis und Kulturwissenschaften? Was gehört zu einer machtkritischen und engagierten kulturwissenschaftlichen Praxis, um gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten? Welche Gruppen und Communities sind daran beteiligt? Und welche Rolle nehmen wir als Kulturwissenschaftler*innen dabei ein? Diese Fragen waren Ausgangs- und Reflexionspunkt für die Auftaktdiskussion am Montag. Theoretischer Bezugspunkt war dabei das Kulturverständnis der „British Cultural Studies“ und die Rolle der Praxis in deren Entstehung: Durch die Zusammenarbeit zwischen Kulturtheoretiker*innen wie Raymond Williams und Arbeiter*innen der „Workers' Educational Association" entstanden die British Cultural Studies als eine Praxis des gemeinsamen (Ver)Lernens, um soziales Bewusstsein und sozialen Wandel von unten zu fördern.
Kulturwochen gestalten
Am Dienstag lag der Fokus auf der kulturorganisatorischen Praxis. Natalie Demmer, Koordinator*in der Kieler Kulturwochen leitete ein Gestaltungsexperiment an und die Teilnehmenden erhielten Einblicke in die komplexen Abläufe transkultureller Projektarbeit. In verschiedenen Rollen entwickelten sie ein fiktives Programm und diskutierten Entscheidungsprozesse, Kommunikationsstrategien und Fragen von Diversität in interkulturellen Teams.
Die Ausstellung als kulturelle Kontaktzone
Im Workshop mit Kurator und Wissenschaftler Ronald Kolb standen am Mittwoch Prozesse der Wissensproduktion im Ausstellungskontext im Mittelpunkt. Anhand kuratorischer Beispiele wurden partizipative und ökologische Ansätze jenseits klassischer Museumspraktiken diskutiert sowie Fragen nach Objektivität, Intention und Verantwortung in der Ausstellungsarbeit beleuchtet.
Am Nachmittag stand als Beispiel das Projekt Art as Egological Practice im M1 in Hohenlockstedt im Zentrum, das Ronald zwischen 2025 und 2026 kuratiert. Gemeinsam mit Künstler*innen und lokalen Akteur*innen – etwa Nachbar*innen – hat Ronald verschiedene „Assemblies“ für jede Jahreszeit veranstaltet. Diese dienen als Räume, in denen die unterschiedlichen Akteur*innen anhand ökologischer Praktiken Wissen gemeinsam verhandeln.
Populäre Praxis und Kultur(wissenschaften)
Am Donnerstag setzten sich die Teilnehmenden gemeinsam mit dem ZPK mit theoretischen Perspektiven auf Praktiken und Werte des Populären insbesondere anhand eines Texts von Stuart Hall auseinander. Die Diskussionen wurden bei einer Führung im Deutschen Schallplattenmuseum in Nortorf und einem Artist-Talk mit dem Hamburger Musiker Danny Chane vertieft. Im Mittelpunkt standen Fragen nach Zugehörigkeit, Repräsentation und dem Potenzial populärer Musik und Medien, gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten.
Die Summer School als Ort kulturwissenschaftlicher Praxis
Die Summer School verstand sich selbst auch als Ort „Praxis zu machen“. Ein Filmscreening, sowie die Zyanotypie- und (Fan)Zine-Werkstätten haben während der Woche Räume geöffnet, in der kulturelle und kulturwissenschaftliche Praxis aufeinandertreffen. Ebenso war das gemeinsame Kochen und Essen im Selbstversorgerhaus im Schülper Moor ein wesentlicher Teil des Programms.
Kulturwissenschaftliche Praxis, aber wie und mit wem?
Über die gesamte Summer School entfalteten sich Diskussionen und Anknüpfungspunkte zwischen den Teilnehmenden, die selbst aus unterschiedlichen Orten und Praktiken der Kulturwissenschaften kommen. Diese Interaktionen förderten nicht nur den Austausch: Am Ende der Woche stand nicht bloß die Summer School als abgeschlossene Veranstaltung im Raum, sondern auch die Frage, wie sich die neuen Perspektiven, Synergien und Ideen nach und jenseits der Summer School weitertragen lassen.
Über die gesamte Summer School hinweg und auch bei der abschließenden Reflexion am Freitag beschäftigte die Teilnehmenden, wie sie selbst kulturwissenschaftliche Arbeit als Zusammenarbeit mit (lokalen) Communities stärken können. Wie kann durch geteilte Räume eine gemeinsame kulturelle und kulturwissenschaftliche Praxis entstehen, die mit statt über diese Gruppen arbeitet? Welche Orte existieren bereits, und welche werden noch benötigt?
Zuhören, Diskutieren und gemeinsames Gestalten prägten die erste Summer School als fünf Tage des Miteinanders und des Vertrauens – eine Woche des Erfahrungsaustauschs, des gemeinsamen Lernens und Weiterdenkens.
[1]Raymond Williams, “Culture is Ordinary”, in: Conviction, ed. Norman MacKenzie, London: 1958, 74-92, S. 75-76.